Israel wurde nicht wegen des Holocaust gegründet, sondern wegen jüdischer Wurzeln und moderner Entschlossenheit

Gidon Ben-Zvi. HonestReporting, 19. August 2021

Ein Artikel von Vanessa Gera bei Associated Press vom 16. August mit der Überschrift „Poland keeps ambassador at home amid dispute with Israel (Polen behält Botschafter wegen Disput mit Israel Zuhause) beschreibt den diplomatischen Streit, der durch Warschaus neues Gesetz verursacht wurde, mit dem praktisch verhindert wird, dass Holocaust-Überlebende und ihre Nachkommen ihr von den Nazis beschlagnahmtes Eigentum zurückfordern können.

Der Text hält fest:

Der Streit ist der jüngste, der wegen der Geschichte zwischen Polen, Heimat von Europas größter jüdischer Gemeinschaft vor dem Zweiten Weltkrieg, und Israel ausbrach, das als Zufluchtsort für vom deutschen Diktator Adolf Hitler und seinen Helfen aus Europa getriebene Juden gegründet wurde.

Dieses Zitat ist ein subtiles Beispiel für eine geläufige Fehlvorstellung; nämlich dass der jüdische Staat in Reaktion auf den Holocaust geschaffen wurde, eine Falschmeldung, die selbst im Westen verbreitet ist und die schon vom ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama und danach von der Kongressabgeordneten Rashide Tlaib verbreitet wurde.

Faktencheck: Israel ist nicht das Ergebnis europäischer Schuld wegen des Holocaust

Eindeutig zu erklären, dass Israels Gründung das Ergebnis des Holocaust war, ist ein Trugschluss, auch wenn die Auslöschung von 6 Millionen Juden durch Nazideutschland während des Zweiten Weltkriegs tatsächlich viele Menschen veranlasste mit der Jahrtausende anhaltenden Notlage des jüdischen Volks mitzufühlen. Aber die Vorstellung, dass dies der Hauptauslöser für den schrittweisen Prozess der internationalen Gemeinschaft hin zur Gründung eines jüdischen Staates war, verwechselt Korrelation mit Ursache.

Zu allererst reicht die jüdische Verbindung zum Land Israel mindestens 3.000 Jahre zurück. Das ist keine biblische Mutmaßung, sondern wird von einer Unzahl archäologischer Funde bestätigt.

Im 19. Jahrhundert begann die erste organisierte Welle jüdischer Migration in das, was heute Israel ist. Bereits in den 1880-er Jahren wurde die Grundlage für einen zukünftigen souveränen Staat gelegt. Während des Ersten Weltkriegs, in den letzten Tagen des Osmanischen Reichs, das 400 Jahre lang einen Großteil des Nahen Ostens regiert hatte – darunter des Territorium, das das moderne Israel umfasst – wurde die zionistische Sache von der britischen Regierung akzeptiert.

Um dieselbe Zeit, in der Adolf Hitler als Gefreiter in der Bayrischen Armee diente, gab der damalige britische Premierminister David Lloyd George öffentlich Unterstützung für den Zionismus zum Ausdruck. Am 2. November 1917 wurde mit der vom britischen Außenminister Arthur Balfour ausgegebenen Balfour-Erklärung Londons Politik formell und forderte ausdrücklich die Gründung einer jüdischen Heimstatt.

Es gab eine Vielzahl geopolitischer Überlegungen, die diese historische Entscheidung beeinflussten, darunter die Hoffnung der britischen Regierung, eine solche Erklärung würde während des Ersten Weltkriegs die jüdische Unterstützung der Alliierten in neutralen Ländern einbringen. Zusätzlich begehrte Downing Street 10 das Gebiet, das nur Jahre später das von den Briten regierte Mandat Palästina sein würde, weil es als Landbrücke zwischen den von den Briten beherrschten Territorien Indien und Ägypten diente.

Dennoch war der Glaube an die Gerechtigkeit der zionistischen Sache seitens Lloyd George und vieler anderer Führungskräfte echt.

Das spiegelte sich in dem Abschnitt des sogenannten Beschlusses von San Remo vom 25. April 1920, die offiziell das Mandat Palästina schuf. Der Beschluss wies die „Mandatsmacht“, in diesem Fall die Briten, ausdrücklich an in der neu gebildeten Einheit eine nationale Heimstatt für das jüdische Volk zu schaffen; das basierte im Großen und Ganzen auf der Balfour-Erklärung.

Darüber hinaus wurde der Text der Erklärung als Teil der Grundlage für den Aufbau einer breiten Koalition zur Unterstützung einer jüdischen nationalen Heimstatt in das Mandat des Völkerbundes aufgenommen.

Als diese wichtigen Ereignisse in den frühen 1920-er Jahren stattfanden, war die Nazi-Partei nicht viel mehr als eine unpopuläre Randgruppe.

Den Holocaust nutzen um Israel zu dämonisieren

Die Beförderung der unangebrachten Theorie, der jüdische Staat sei nur ein Nebenprodukt des Völkermords im Zweiten Weltkrieg, hat einen surrealen Bumeraneffekt gehabt und praktisch die Tür für diejenigen geöffnet, die antizionistische Agenden haben, ebenso für Antisemiten, um Holocaust-Sprache und -Symbole zu kapern, um damit Israels Umgang mit den Palästinenser mit dem der Juden durch die Nazis gleichzusetzen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat seinerseits wiederholt die Gaza-Politik des jüdischen Staates mit dem Umgang der Nazis mit den Juden verglichen. Erdoğan hat gesagt: „Wir betrachten den Holocaust auf dieselbe Weise, wie wir die Belagerung des Gazastreifens und die Ausführung der Massaker darin betrachten.“

Am bekanntesten ist vielleicht, dass der ehemalige iranische Präsident und widerwärtige Antisemit Mahmud Ahmadinedschad im Jahr 2007 Israel beschuldigte den Holocaust als Vorwand für „Völkermord“ an den Palästinensern zu nutzen.

Dann gibt es den ehemaligen Londoner Bürgermeister Ken Livingston. 2018 verlängerte die britische Labour Party seine Suspendierung wegen einer Behauptung von 2016, Adolf  Hitler habe in den 1930-er Jahren den Zionismus unterstützt. Livingston behauptete, er habe lediglich „eine historische Tatsache dargelegt“.

Derweil ist die Initiative „Nie wieder, für niemanden“ ein besonders entsetzliches Beispiel, da sie Israel dämonisiert, indem sie dafür eintritt, dass das Mantra „Nie wieder“ – ausdrücklich geschaffen unter Bezugnahme auf die systematische Ermordung von 6 Millionen Juden – auf das palästinensische Volk angewandt wird.

Das große Problem mit cum hoc ergo propter hoc

Die Vereinigung der uralten Verbindung des jüdischen Volks zum Land Israel, die gewaltigen Bemühungen der zionistischen Bewegung einen jüdischen Staat zu gründen und ein komplexes Aufgebot geopolitischer Faktoren sind verantwortlich dafür, dass Israel geschaffen wurde. Und das wäre wahrscheinlich auch geschehen, wenn der Holocaust nie begangen worden wäre.

Mit der fehlenden Erklärung dieser Realität hat Associated Press, deren Arbeit von mehr als 1.300 Zeitungen und Sendern weltweit veröffentlicht wird, ungewollt oder nicht, die beinahe übernatürliche Verwirklichung durch Beharrlichkeit und harte Arbeit des jüdischen Volkes, die Sehnsucht verleumderisch zu einer Art „Trostpreis“ macht –  geschenkt von einer Welt, die vor den Schrecken des Holocaust die Augen verschlossen hat.

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