Die Tscherkessen: Die muslimische Gemeinschaft, die für Israel kämpft

Chaim Lax, HonestReporting, 29. Dezember 2022

Wer sind die Tscherkessen? Wie sieht die Geschichte der Gemeinschaft im Land Israel aus und wie die einzigartige Rolle, die sei im modernen Staat Israel spielen?

Ende Dezember 2022 ernannte die United Nations Word Tourism Organization 32 Dörfer weltweit zu „Touristen-Dörfern“, womit sie Örtlichkeiten hervorhob, die zu internationalem Tourismus einladen, während sie gleichzeitig lokale Traditionen und Bräuche erhalten.

Eines der 32 von der UNO angeführten Dörfer war Kfar Kama, ein Ort in Galiläa in Israel mit gerade etwas mehr 3.000 Einwohnern.

Anders als man annehmen sollte, ist Kfar Kama kein jüdischer oder arabischer Ort. Es ist nicht einmal ein Drusenort. Kfar Kama ist ein Tscherkessen-Ort, einer von nur  zwei im gesamten jüdischen Staat.

Es wird zwar viel über Israels jüdische Mehrheitsbevölkerung geschrieben, genauso über seine Minderheiten (wie die muslimischen Araber, die christlichen Araber und die Drusen), aber über die Tscherkessen ist wenig bekannt.

Vom Kaukasus nach Galiläa: Die Tscherkessen im Land Israel

Die Tscherkessen sind eine aus 12 Stämmen bestehende ethnische Gruppe aus dem nordwestlichen Kaukasus, an den Russland, die Türkei und der Iran grenzen.

Die Tscherkessen waren ursprünglich Heiden. Später konvertierten sie zum Christentum und dann um das 15. Jahrhundert zum sunnitischen Islam. Aber unabhängig von ihrer Religion folgen alle Tscherkessen einem Verhaltenskodex namens „Chabze“.

Infolge ihrer geografischen Lage waren die Tscherkessen im Lauf der Jahrhunderte einer Vielzahl an Einfällen Krieg führender Armeen ausgesetzt. Das führte zur Entwicklung einer disziplinierten Kriegerkultur bei den Tscherkessen.

Ende des 18. Jahrhundertes wollte das russische Reich das Heimatland der Tscherkessen annektieren und andere Bevölkerungen in die Gegend bringen. Das führte zu einem gewalttätigen Kampf zwischen Russen und den Tscherkessen, der fast 100 Jahre dauerte.

Gegen Ende dieses gewalttätigen Zeitraums, zwischen 1860 und 1864, brannten die Russen hunderte tscherkessischer Dörfer nieder und massakrierten mehr als eine Million Tscherkessen (mehr als 90% der tscherkessischen Bevölkerung).

Nach der Vernichtung der tscherkessischen Gemeinschaft wurden die überlebenden Tscherkessen aus ihrer Heimat ins Exil getrieben. Weil sie wegen ihrer moralischen Werte und Mut respektiert wurden, war eine große Zahl der überlebenden Tscherkessen im Osmanischen Reich willkommen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gründeten die Tscherkessen drei Gemeinden in der Region Galiläa im nördlichen Israel. Kfar Kama wurde 1878 gegründet, Rihaniya wurde 1880 gegründet und eine dritte Gemeinde wurde bei Hadera gegründet, aber bald darauf nach einem Malaria-Ausbruch wieder aufgegeben.

Die Osmanen erlaubten den Tscherkessen sich in Galiläa niederzulassen, weil die Region unter Gesetzlosigkeit und Anarchie litt; Beduinen- und Drusen-Banden kontrollierten die Gegend und man glaubte, dass die Tscherkessen in der Lage sein könnten in der Region für etwas Ordnung zu sorgen. Letztlich waren sie erfolgreich und ebneten den Weg für jüdische Pioniere, die bald darauf in Galiläa Gemeinden gründeten.

Zur gleichen Zeit, als die Tscherkessen Gemeinden im Land Israel gründeten, gründeten sich auch Dörfer auf den Golanhöhen und im heutigen Jordanien. Tatsächlich wurde die moderne Stadt Amman, die Hauptstadt Jordaniens, im selben Zeitraum von tscherkessischen Flüchtlingen gegründet.

Nach dem Sechstage-Krieg zogen die Tscherkessen der Golanhöhen nach Damaskus und Aleppo, obwohl einige zurück in ihre Dörfer im Raum Quneitra auf den Golanhöhen, nachdem Israel 1974 aus diesem Bezirk abzog.

1948 entschieden sich die Tscherkessen für den entstehenden jüdischen Staat zu kämpfen und seitdem integrierten sie sich erfolgreich in die israelische Gesellschaft, während sie weiter ihre Traditionen und Bräuche beibehielten.

Die Tscherkessen im Staat Israel

Heute leben etwa 4.000 bis 5.000 Tscherkessen im Staat Israel, die überwiegende Mehrheit von ihnen lebt in Kfar Kama und Rihaniya.

Als Diaspora-Gemeinschaft, die sich darauf freut in ihre Heimat zurückzukehren, sprechen die Tscherkessen Zuhause ihre eigene Sprache (Adyghe), bewahren ihre traditionelle Kleidung, Musik und Tanz, befolgen ihren traditionellen Verhaltenskodex und heiraten im Allgemeinen nur untereinander (die Gemeinschaft hilft Treffen zwischen Tscherkessen aus Israel, Jordanien, der Türkei und Holland, um Ehepartner zu finden).

Die Tscherkessen begehen auch den 21. Mai als Trauertag für die von den Russen im russisch-tscherkessischen Krieg Massakrierten.

Die Tscherkessen behalten zwar ihre Traditionen und Bräuche bei, sind aber auch innig in die israelische Gesellschaft integriert. Ein Tscherkesse aus Kfar Kama erzählte dem israelischen Nachrichtensender i24 News: „Wir habe drei Hüte: tscherkessisch, muslimisch und israelisch.“

Die tscherkessischen und drusischen Gemeinschaften sind die einzigen nichtjüdischen Minderheiten, deren männliche Bevölkerung offiziell Wehrdienst in der IDF leistet.

Bis zum 10. Schuljahr lernen tscherkessiche Kinder in örtlichen Schulen, wo sie Adyghe, Hebräisch, Arabisch und Englisch lernen. Ab dem 10. Schuljahr besuchen tscherkessiche Schüler regional hebräischsprachige Oberschulen, was sie zu den „einzigen sunnitischen Muslimen der Welt macht, die auf Hebräisch lernen“.

Zusätzlich haben 80% in der jüngeren Generation der Tscherkessen Universitätsabschlüsse.

Ein weiterer Hinweis auf die Integration der Tscherkessen in die israelische Gesellschaft ist ihr Wahlverhalten.

Aufgrund der Wahlergebnisse in Kfar Kama und Rihaniya bei den Wahlen im November 2022 waren die beiden Top-Parteien Yair Lapids Yesch Atid (25%) und Benny Gantz‘ Partei der Nationalen Einheit (22%). Die beiden führenden arabischen Parteien (Hadasch-Taal und Raam) erhielten zusammen 215 der Stimmen in den tscherkessischen Gemeinden.

Obwohl die Gemeinschaft der Tscherkessen weniger als 1% der israelischen Bevölkerung stellen, haben sie einen unauslöschlichen Eindruck in der israelischen Gesellschaft hinterlassen.

Nach ihrem Wehrpflicht-Dienst haben einige Mitglieder der Tscherkessen-Gemeinschaft dann ihre weiteren beruflichen Karrieren als Offiziere im israelischen Militär gemacht. Andere sind in Israels boomendem Hightech-Sektor gegangen, arbeiten als Forscher und Wissenschaftler in der bio-medizinischen Industrie oder haben Erfolg in anderen Bereichen.

Im Bereich des Sports ist Bibras Natcho, ein Tscherkesse aus Kfar Kama, der Mannschaftskapitän der israelischen Fußball-Nationalmannschaft.

Damit ist eine ethnische und religiöse Minderheit im jüdischen Staat, die Gemeinschaft der Tscherkessen, in der Lage gewesen erfolgreich ihre Traditionen und Bräuche beizubehalten, während sie sie auch in die moderne israelische Gesellschaft integrieren.

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